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Anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Orchesters gestaltete die OGW die Broschüre «100 Jahre Orchestergesellschaft Winterthur 1885-1985». Darin wird mit viel Anschauungsmaterial (Fotografien, Plakate, Vereinsabrechnungen, Protokolle, etc.) die bewegte Geschichte der OGW aufgezeigt.

 

Aus der Gründungszeit der Orchestergesellschaft

Am 16. November 1885 gründeten 17 Musikfreunde, die sich bisher zu gelegentlichem Musizieren trafen und die dem damals schon traditionsreichen Musikkollegium Winterthur nahestanden, das «Dilettanten-Orchester Winterthur». Die beiden ersten Proben fanden im Stadtcasino statt; später siedelte man ins Technikum über.

Der fleissige Probenbesuch aller Mitglieder ermöglichte schon im Mai 1886 ein erstes Konzert zu Gunsten der Ferienkolonie. Weitere sogenannte Freikonzerte folgten im Juni und im Oktober des gleichen Jahres.

In den folgenden Jahren entwickelte das Dilettanten-Orchester eine rege Konzerttätigkeit, die nicht zuletzt dank den Beiträgen der Passivmitglieder ermöglicht wurde. Um sich dieses Stammpublikum zu erhalten, wurden vornehmlich Konzerte mit Unterhaltungsmusik veranstaltet. So erscheinen in den Protokollen immer wieder Hinweise auf Anlässe wie «Bal champêtre» im Bruderhaus oder Eschenberg, Unterhaltungskonzerte im Casino, Entreacte-Musik im Strauss und ähnliche Köstlichkeiten. Trotzdem war die Vereinskasse stark belastet, mussten doch häufig Instrumente angeschafft werden, die den «Dilettanten» zur Verfügung gestellt wurden.

Daher wurde im Jahre 1890 die Durchführung eines Bazars beschlossen, mit dem Zweck, aus den Einnahmen einen Fonds zu schaffen, «der es dem Orchester ermöglichen solle, in Zukunft die ausserordentlichen Kosten der Gratiskonzerte, die ja bei unserer Einwohnerschaft so beliebt geworden sind, zu decken, ohne jedesmal besonders an den Opfersinn der Bevölkerung appellieren zu müssen». Dieses Ziel wurde denn auch erreicht: die Schaffung eines in seiner Substanz bis heute unantastbaren Fonds half später über vielerlei Schwierigkeiten hinweg und erwies sich als starkes Band, welches den jungen Verein immer wieder zusammenzuhalten vermochte.

1916 wurden erstmals Damen ins Orchester aufgenommen. Dieser wichtige Schritt in Richtung «Gleichberechtigung» fand in den Reihen der Dilettanten nicht durchwegs Zustimmung, wie dem nachstehenden Auszug aus dem Protokoll der Generalversammlung von 1916 zu entnehmen ist.
Nachdem die wichtigen Traktanden erledigt waren, und man allmählich in den unterhaltenden Teil überzugehen gedachte, glaubte Herr Jakob Dätwyler noch einiges an unseren Damen rügen zu dürfen, indem er anführte, dass sich dieselben vor und nach den Proben etwas ruhiger verhalten sollten. Die meisten andern Herren waren jedoch einig, dass wir durch sie drei gute II. Violinspielerinnen erhalten haben. Damit hat sich Herr Dätwyler dann schliesslich auch zurecht gefunden. Und so hoffen wir denn, dass diese drei Damen noch lange im Orchester mitspielen werden, und sich mit der Zeit noch andere Damen dazugesellen werden.

Der Mitgliederbestand schwankte in dieser Zeit zwischen 30 und 45 und führte zu verschiedenen Wechseln des Probelokals. Vom Technikum zog man in den «Wilden Mann», und 1916 beschloss die Generalversammlung den Umzug ins Casino.

Die Kriegsjahre wurden für das Dilettanten-Orchester zu einer Krisenzeit. Zuerst beeinträchtigte die grosse Grippeepidemie die Tätigkeit, dann sank der Mitgliederbestand von 36 auf 25, und zugleich musste das Dirigentenhonorar von Fr. 12.- auf Fr. 17.- pro Probe und Konzert erhöht werden. Dies machte auch eine sehr umstrittene Erhöhung des Mitgliederbeitrags auf monatlich Fr. 3.— notwendig. Ferner wurde aus Spargründen beschlossen, in der Ferienzeit auf Proben zu verzichten.

Die Mitglieder des Dilettanten- Orchesters wohnten fast alle im engeren Stadtgebiet. Ein Wohnortswechsel nach Töss oder Oberwinterthur hatte häufig den Austritt aus dem Orchester zur Folge, da es zu umständlich war, abends in die Stadt zur Probe zu fahren.

1921 wurde nach dem Rücktritt des Dirigenten A. Schnauder eine Fusion mit dem «Orchester-Verein» angestrebt. So hätte sich die Suche nach einem neuen Dirigenten erübrigt, und die Mitgliederzahl wäre zugleich wieder gestiegen. Ein gemeinsames Konzert brachte erfreulich hohe Einnahmen; trotzdem erfolgte von Seiten des «Orchester-Vereins» eine Absage. So wurde G. Kahlfeld zum Dirigenten ernannt, und der Vorstand versuchte durch aktive Werbung im Technikum, aber auch in der Presse den Mitgliederbestand zu erhöhen.

An der Generalversammlung 1922 warf der neugewählte Präsident H. Schälchlin die Frage der Programmgestaltung auf. Er schlug vor, an Stelle der Biergartenkonzerte vermehrt die klassische Musik zu pflegen. Es wurde jedoch die Befürchtung laut, mit solchen Programmen finanziellen Misserfolg zu haben, da die Liebhaber der klassischen Musik ohnehin nicht zu den Konzerten des Dilettanten-Orchesters erscheinen würden. Zudem meinte man, «es fehle einem grossen Teil der Mitglieder die Technik und die schöne Tonbildung», die für solche Musik nötig sei. Der Präsident hielt aber an seiner Meinung fest. So kam es 1923 zur Aufführung des ersten klassichen Konzertes. Es gelang dank des grossen Einsatzes der Mitglieder und fand entsprechenden Anklang. Deshalb wurde beschlossen, weitere klassische Konzerte durchzuführen. Allerdings verzichtete man nicht völlig auf die Unterhaltungskonzerte. Lediglich die Biergartenkonzerte im Wartmann entfielen, da der Wirt eigene Kapellen engagierte. Somit war ein gewisser Zwang zur Förderung der klassischen Musik gegeben, der sich für das Orchester als durchaus positiv erweisen sollte.

Die Jahre 1924-26 sollten wiederum als Krisenjahre in die Vereinsgeschichte eingehen. Nach dem Tode von G. Kahlfeld wurde der Stadtorchester-Geiger M. Ruiter als Dirigent gewählt. Er erwies sich als gestrenger Meister des Taktstockes und stellte hohe Anforderungen. Dank einer umfassenden Reorganisation konnte der Fortbestand des Orchesters unter seiner seiner Leitung garantiert werden. Gleichwohl führte der Beizug von Berufsmusikern aus Stadtorchester und Musikschule sowie der Wegfall eines Familienabends (es fand sich niemand, der ihn organisierte) zu schweren finanziellen Verlusten.

Es zeigte sich jedoch, dass der neue Dirigent das Orchester zu ausserordentlichen Leistungen anzuspornen vermochte. Die Mitwirkung an den Festspielen anlässlich der Gewerbeausstellung im Jahre 1924 war auch finanziell ein Erfolg.

Doch die folgenden Jahre brachten wiederum schwere finanzielle Verluste. So darf es nicht verwundern, wenn das Einvernehmen unter den Mitgliedern wegen den Misserfolgen litt und der gute Zusammenhalt gefährdet war.

 

Die Ära Otto Uhlmann

1926 musste M. Ruiter aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten, und Otto Uhlmann übernahm die Leitung des Orchesters.

Als Glanzpunkt - in erster Linie in finanzieller Hinsicht - wird 1927 die Mitwirkung am Kantonalen Turnfest erwähnt. Das Dilettanten-Orchester war als «Variété-Gross-Orchester» für fünf Abende engagiert worden. Mit diesem Erfolg schien auch die tiefe Krise der letzten Jahre überwunden zu sein.

Die Generalversammlung vom 17. März 1928 beschloss einstimmig, den Namen des Orchestern in Orchestergesellschaft Winterthur zu ändern.

1935 feierte die Orchestergesellschaft ihr 50-jähriges Bestehen. Das Festkonzert mit 38 Mitwirkenden unter der Leitung von Otto Uhlmann erfreute ein zahlreiches Publikum. Den eigentlichen Höhepunkt der Feier bildete das musikalische Hörspiel «Die Fermate», ein Zweiakter mit vielen Begebenheiten rund um den Orchesterbetrieb. Dieses Theaterstück, mit Texten aus den eigenen Reihen und Musik von O. Uhlmann, zeigte, wie ideenreich und unternehmungslustig der Verein damals schon war.

Im gleichen Jahr beschloss die Generalversammlung den Beitritt zum Eidgenössischen Orchesterverband, der Dachorganisation der Laienorchester. Von dieser Institution profitiert das Orchester noch heute, steht doch den Verbandsmitgliedern eine reichhaltige Notenbibliothek kostenlos zur Verfügung.

Noch im Jubiläumsjahr 1935 erwartete die Orcherstergesellschaft eine grosse Aufgabe, wirkte sie doch in den vom Sängerbund Winterthur im Sommer durchgeführten Heimatspielen mit. Die elf regulären Vorstellungen waren ausverkauft, und «man stellte überall eine grosse Bereitschaft des Mitgehens fest, der Heimat zuliebe und unserer Stadt, die da im Bekennen zu echtem Schweizertum gar nicht unzeitgemäss hervorzutun sich bestrebte». So kam man am Ende des denkwürdigen Jahres 1935 zum Schluss, «dass sich das Orchester in gedeihlicher Entwicklung bewegt, in musikalischer und geschäftlicher Hinsicht vorzüglich geleitet, vom Wohlwollen der Bevölkerung getragen und von eifrigen und opferwilligen Mitgliedern gefördert wird» (J. Burkhard, Tageszeitungen 14.2.36).

Alljährlich führte die Orchestergesellschaft eine beachtliche Anzahl von Konzerten durch. Daneben bestritt sie 1937, während des Eidgenössischen Turnfestes, die Unterhaltungskonzerte in einer der Festhallen. Dirigent Otto Uhlmann komponierte eigens für dieses Fest den Marsch «Mut», der mehrmals aufgeführt wurde und grossen Anklang fand.

Höhepunkte und Krisen begleiten das Orchester auch durch die nächsten Dezennien. Die Probleme, die dem Vorstand zu schaffen machen, bleiben sich gleich, aber auch die musikalischen Erlebnisse, welche die Mitglieder zum Verbleiben ermuntern.

Im übrigen war das Konzertangebot sehr vielfältig. So wurden Kirchenkonzerte, Volkskonzerte, Kantatenabende, Serenaden, Wohltätigkeitskonzerte (z.B. für Ferienkolonien, Soldatenhilfe etc.), Unternaltungsabende und Sommernachtskonzerte aufgeführt. Auch zur Umrahmung offizieller Anlässe wurde die Orchestergesellschaft immer wieder beigezogen. So wirkte sie während vieler Jahre an der Jungbürgerfeier der Stadt mit, trat an den Jubiläen des Landboten, der Betriebskrankenkasse Sulzer, des Dramatischen Vereins Töss, der Mittelschülerverbindung «Vitoduronia» auf. Mit verschiedenen Chören aus Winterthur wurde eine fruchtbare Zusammenarbeit gepflegt. Erstaunlich ist auch, dass in solchen Konzerten immer wieder aktive Orchestermitglieder als Solisten auftraten. Die Programme waren entsprechend dem Bereich der klassischen Musik oder der Unterhaltungsmusik entnommen. Allerdings zeichnete sich doch eher eine Neigung zum Unterhaltungskonzert ab. Anlässlich der Delegiertenversammlung des Eidgenössischen Orchesterverbandes im Jahr 1938 in Winterthur wurde diese Tatsache so begründet:

«Stellung und Aufgabe der Orchestergesellschaft im Winterthurer Musikleben sind sehr stark beeinflusst durch das hiesige Berufsorchester. So verlegte die Orchestergesellschaft ihre öffentliche Betätigung hauptsächlich ouf die Sommermonate. Klassische Programme haben begreiflicherweise keine grosse Anziehungskraft beim Publikum, auf das aber jede Musikvereinigung schliesslich angewiesen ist. Die Orchestergesellschaft hat sich deshalb mit grossem Erfolg vor allem die Pflege guter Unterhaltungsmusik zur Aufgabe gemacht.»

 

Die Neuzeit

Eine Änderung des musikalischen Angebotes zeichnete sich erst ca. 1960 ab. Von da an wurden mit wenigen Ausnahmen («Maske in Blau» 1971, Wiener Konzert 1979) nur noch klassische Werke gespielt. Die Dirigenten, die nach Otto Uhlmonn die Orchestergesellschaft leiteten, waren vorwiegend darauf bedacht, den Ruf des Vereins als «Salonorchester» zu tilgen, in verschämter Ignoranz der Tatsache, dass das Orchester in früheren Zeiten mit dieser Musik eine Lücke im musikalischen Bedarf der Stadt zu decken vermochte und dies während Jahrzehnten zur Zufriedenheit eines dankbaren Publikums. Auch wenn ältere Mitglieder ab und zu den Unterhaltungs.abenden nachtrauern, hat sich die eingeschlagene musikalische Richtung für die Orchestergesellschaft als richtig erwiesen.

Im Jahre 1959 traten einige Mitglieder aus der Orchestergesellschaft aus und gründeten zusammen mit weiteren Musikfreunden das Kammerorchester Winterthur, welches aber heute nicht mehr existiert.

1971 kehrte die Orchestergesellschaft unter der Leitung von Guido Steiger noch einmal zur leichteren Muse zurück: Zusammen mit dem Gemischten Chor Rümlang studierte sie die Operette «Maske in Blau» von Fred Raymond ein. Die fünf Aufführungen in Winterthur und Rümlang wurden denn auch ein voller Erfolg.

Am 18./19. Mai 1974 fand die Delegiertenversammlung des Eidgenössischen Orchesterverbandes nochmals in Winterthur statt. Die Orchestergesellschaft als Organisatorin bemühte sich, den Ablauf der Delegiertenversammlung neu zu gestalten. Zum ersten Male wurden Versammlung, Konzert und Festakt an einem Samstagnachmittag durchgeführt. Am Sonntagmorgen standen den Teilnehmern verschiedene Ausflugs- und Besichtigungsprogramme zur Auswahl offen.

Um der Konkurrenz mit dem reichhaltigen Musikangebot in der Stadt Winterthur auszuweichen, verlegte das Orchester seine Konzerte vermehrt in die nähere Umgebung: So wird ein eingeübtes Programm nicht nur in der Stadt, sondern immer noch in einer anderen Gemeinde aufgeführt. Wiesendangen, Seuzach, Stammheim, Andelfingen, EIgg, Aadorf, aber auch das Schloss Sargans, die im Vorarlberg gelegene Probstei St. Gerold, das Ritterhaus Bubikon, die Verena-Kirche in Zurzach waren durchaus stimmungsvolle Aufführungsorte.

 

Ausblick

Es mag sich in den letzten Jahren in der Orchestergesellschatt vieles geändert haben, seien das nun die Programme, die Konzertorte, die Zusammensetzung der Mitglieder. Eines aber hat sich seit der Gründung des Dilettanten-Orchesters erhalten: Das Ziel ihres Wirkens dürfte für die Orchestermitglieder, so wie es in der Rede zur 50-Jahr-Feier formuliert wurde, auch heute noch Gültigkeit haben:

«Wir wollen keine Künstler sein, niemals ist einem von uns der Vergleich mit dem Stadtorchester eingefallen, In bescheidenem Rahmen wollen wir gute Orchestermusik pflegen, zur Erholung nach getaner Arbeit, zu unserem eigenen Nutzen und zur Freude unserer Zuhörer.»